Kordula Schippan, Koordinatorin des Hospizvereins, im Gespräch mit Dana Toschner, MARTINI Halberstadt
Sie schenken schwerkranken und sterbenden Menschen Zeit und unterstützen deren Familien: Die ehrenamtlichen Helfer des Hospizvereins Regenbogen kümmern sich um ein Thema, das andere lieber verdrängen. Ein Gespräch mit Kordula Schippan, der Koordinatorin des Vereins, der seinen 25. Geburtstag feiert.
Die meisten Menschen schieben die Themen Sterben und Tod gern so weit weg, wie es nur geht. Warum beschäftigen Sie sich freiwillig mit dem Tod?
Diese Themen zu vermeiden, halte ich für paradox. Nichts ist schließlich sicherer, als dass man an diesen Punkt kommt. Wir verlieren geliebte Menschen, und wir werden selbst sterben. Ich erinnere mich an einen Auslöser, der das Thema in meinem Kopf angestoßen hat: Ich sah in einer Reha-Einrichtung einen Mann im Rollstuhl mit fixiertem Kopf, der sich nicht mehr bewegen konnte. Ich stellte mir die Frage, was ich für mich möchte, wenn ich zum Beispiel nach einem Unfall oder einer schweren Krankheit ohne Aussicht auf Besserung auf der Intensivstation liege. Möchte ich am Leben festhalten bis zum letzten Strohhalm? Sie arbeiten seit vielen Jahren als Fachschwester für Anästhesie und Intensivtherapie in der Klinik. Oft müssen Angehörige entscheiden, ob die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet werden sollen, wenn der Betroffene sich selbst nicht mehr äußern kann. Viele Jahre war das Krankenhaus mein Hauptarbeitsfeld, heute bin ich dort nur noch zehn Stunden pro Woche. In der Hochleistungsmedizin auf den Intensivstationen werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, einen Menschen am Leben zu erhalten. Manche Fälle, in denen keine Patientenverfügung vorliegt, bringen einen zum Nachdenken. Ich halte es für sehr wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und darüber in der Familie auch zu sprechen. Diese Entscheidung sollte man nicht seinen Angehörigen aufbürden.
Sie haben eine Weiterbildung zur Palliativ Care-Fachkraft absolviert, also gelernt, wie man Menschen in der letzten Lebensphase begleitet. Dann haben Sie beim Hospizverein Regenbogen angefangen. Wie verändert sich der Blick aufs Leben durch die Beschäftigung mit dem Tod?
Durch meine Arbeit im Krankenhaus und im Hospizverein relativiert sich vieles. Ich denke, das ist auch meinen drei Kindern zugute gekommen. Man regt sich nicht über alles auf. Ich habe einen Blick für die schönen Momente und denke daran, wie gut es uns geht. Im Krankenhaus hatte ich vor Augen, wie schnell sich alles ändern kann. Wenn nach einem Unfall ein Patient eingeliefert wurde, dachte ich oft: Vor wenigen Minuten war dessen Welt noch in Ordnung. Bei der Diagnose schwerer Krankheiten ist es ähnlich.
Um schwerkranke Menschen, die bald sterben werden, nicht allein zu lassen, gibt es Hospize. In Halberstadt haben wir keines, aber den Hospizverein. Wie genau helfen Sie denn?
Im Verein arbeiten 53 ehrenamtliche Hospizbegleiter und neben mir noch eine weitere angestellte Koordinatorin. Wir besuchen Familien, die uns anrufen und schauen, wo Hilfebedarf ist. Zusammen mit Partnern stricken wir ein Netz, das sie unterstützt. Der Pflegedienst und der ambulante Palliativdienst sind hier an erster Stelle wichtig, denn sie übernehmen die pflegerische und medizinische Versorgung. Unsere Ehrenamtlichen können die sogenannte psychosoziale Betreuung leisten, wenn das gewünscht ist. Sie setzen sich also vielleicht zu dem schwerkranken Menschen ans Bett, sprechen mit ihm. An guten Tagen gehen sie ein paar Schritte spazieren oder trinken zusammen einen Tee.
Das entlastet auch die Angehörigen, die dann mal eine Stunde für sich haben?
Ja, die Familien in dieser schwierigen Situation zu entlasten und zu stärken, damit sie sie besser bewältigen können, das ist unser Anliegen. Ein weiterer Bereich ist die Trauerbegleitung, die bereits in der Zeit beginnen kann, in der wegen der fortschreitenden Krankheit um verloren gegangene Gewohnheiten und Fähigkeiten getrauert wird. In einer solchen intimen Situation fremde Menschen in seine Wohnung zu lassen, das ist sicherlich nicht einfach für die Betroffenen. Manche wollen alles mit sich ausmachen. Aber irgendwann kommen sie an einen Punkt, an dem die Angehörigen am Ende ihrer Kräfte sind. Wenn ich dann sage „Schauen Sie sich mal bitte Ihre Frau an, wie wirkt sie auf Sie?“, dann sehen sie, dass sie völlig erschöpft ist. Dann können sie es vielleicht akzeptieren, Hilfe anzunehmen.
Durch Gespräche entwickelt sich Vertrauen, man lässt sich aufeinander ein. Man gibt den Sterbenden und deren Angehörigen also Kraft. Aber ist die eigene Kraft nicht auch endlich?
Ja, es kommt vor, dass unsere Ehrenamtlichen eine Pause brauchen, sich eine Auszeit nehmen. Dann gehen sie erstmal eine zeitlang nicht in die Familien, sondern sind vielleicht beim Projekt „Hospiz macht Schule“ in einer Grundschule dabei. Aber die Arbeit ist nicht nur kräftezehrend, sondern oft auch schön. Unsere Hospizbegleiter berichten, dass diese sinnstiftende Tätigkeit für sie durchaus auch Kraftquelle ist. Man erlebt, wie sich in einer Familie der gordische Knoten aus Überlastung und Ausgebranntsein löst. Man wird als das Licht am Ende des Tunnels wahrgenommen. Das ist ein gutes Gefühl.
Gibt es so etwas wie einen schönen Tod?
Oft ist Sterben ein friedvoller Moment. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass Sterbende einen Einfluss darauf haben, wann sie gehen. Ich habe einen Mann kennengelernt, der schon sehr von seiner Erkrankung gezeichnet war, aber unbedingt noch die Hochzeit seines Sohnes erleben wollte. Es ging ihm schon sehr schlecht, aber er schaffte die letzten Monate bis zu diesem Datum, war in der Kirche dabei und starb schließlich in der Nacht nach der Hochzeit. Kann man den Menschen die Angst vorm Sterben nehmen? Die meisten Menschen haben Angst vor Schmerzen. Dank der guten palliativen Versorgung heute ist man den Schmerzen aber nicht ausgeliefert. Mit einer gut eingestellten Schmerztherapie kann man zu Hause sterben, wenn das der Wunsch ist. Wenn jemand Angst hat, alleine zu sein, besprechen wir mit ihm, was es für Möglichkeiten gibt: wir erstellen schon mal einen „Dienstplan“ mit Angehörigen, dem Pflegedienst und unseren Ehrenamtlichen oder ich berichte von den Erfahrungen, die ich mit stationären Hospizen gesammelt habe. Auch das ist eine gut Alternative, wenn es keine Angehörigen vor Ort gibt.
Wie oft hören Sie den Satz: Gut, dass du das machst, aber ich könnte das nicht?
Oft, ja. Es ist schon ein besonderer Menschenschlag, der hier bei uns mitarbeitet, und ich ziehe vor unseren Ehrenamtlichen den Hut. Es ist nicht jeder dafür gemacht. Es braucht eine gewisse Zugewandtheit, eine Offenheit zum Gegenüber. Auf Menschen wertfrei, vorurteilsfrei zugehen zu können, ist eine Voraussetzung. Man spricht ja oft von der Verrohung der Gesellschaft. Ich erlebe bei der Arbeit das Gegenteil. Im Stillen ist ganz viel Fürsorge füreinander da.
Das Gespräch führte Dana Toschner. *** INFO Der Hospizverein Regenbogen e.V. wurde am 28. August 1996 gegründet und feiert nun seinen 25. Geburtstag. Damals zählte er zu den Vorreitern in Deutschland. Die ehrenamtlichen Hospizbegleiter werden für ihre Tätigkeit im Verein ausgebildet. Wer selbst mitarbeiten möchte, den Verein finanziell unterstützen will oder Hilfe braucht, findet Informationen unter www.hospizvereinregenbogen.de. telefonisch ist der Verein unter dieser Nummer zu erreichen: 03941 448722